Für die Teilnahme ist die vorherige Akkreditierung erforderlich.
Stundenplan
19.11.2021
- 09:30 - 09:45
- Begrüßung
- Key Note
- 10:00 - 10:30
- Was hinter der Leinwand geschah – politisches und kulturelles Exil in der Zwischenkriegszeit
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Sprecher:in
György Dalos
- PANEL 1: SPURENSUCHE
- 10:45 - 11:30
- Der rasende Regisseur – Alfréd Deésy (Kämpf) / 1877–1961
- Alfred Deésy Kämpf ist einer der produktivsten und innovativsten Filmregisseure Ungarns, sein Oeuvre ist je-doch kaum bekannt. Der Zeitgenosse und Kollege von Michael Curtiz und Alexander Korda drehte zwischen 1913–1947 um die 100 Filme in verschiedenen Genres, die erfolgreichsten waren seine Literaturverfilmungen. Deésy kam über Zirkus und Theater zum Film, als Schauspieler spielte er in den frühen Stummfilmen von Mi-chel Curtiz und wurde bald »ungarischer Psylander« genannt. Trotzdem verließ er das Theater und stieg ins Filmgeschäft ein, zuerst als Kinobesitzer, später als Gründer der Star Filmfabrik, die auch im Ausland mehrere Verleihbüros hatte. Deésy entdeckte Béla Lugosi und den späteren Oscarpreisträger Paul Lukas für den Film, Käthe von Nagy besuchte seine Filmschule. Seine Regiearbeit kann man nur anhand der wenigen erhaltenen Stummfilme, Fragmente, zeitgenössischer Filmkritik und seiner späteren Erinnerungen rekonstruieren. Dies ergibt ein Bild von einem »rasenden Regisseur«, dem es gelang in einem Jahr über 30 Filme fertigzustellten. 1926 verließ Deésy Budapest und ging nach Wien. Mit seinen ungewöhnlichen Ideen und Arbeitsweisen konnte er auch dort Erfolge erzielen, besonders sein Film SACCO UND VANZETTI sorgte für Aufsehen. Während Curtiz, Korda, Balázs und viele andere ungarische Filmschaffende meist über Berlin nach Hollywood oder London auswanderten, kehrte Deésy 1931 nach Ungarn zurück, wo er noch einige Tonfilme drehte. In meinem Vortrag werde ich das Lebenswerk dieses in Vergessenheit geratenen Regisseurs schildern, wobei ich seine Interessen und Arbeitsmethoden im Fokus stelle, in denen die Wechselwirkungen zwischen Ost und West gut abzulesen sind.
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Sprecher:in
Réka Gulyás
- PANEL 2: SYSTEMSPRÜNGE
- 11:45 - 12:00
- Film muss plastisch werden. Andrej Andrejew
- Leider ist Jürgen Kasten verhindert und kann den angekündigten Vortrag nicht halten. Wir möchten an dieser Stelle daher auch auf den Katalog-Artikel zu Andrej Andrejew verweisen und dem Abstract von Jürgen Kasten:
Der Bühnenbildner Andrej Andrejew kam um 1918 mit den Gastspielen im westlichen Europa suchenden Thea-terleuten des Moskauer Künstlertheaters nach Berlin. Bei Max Reinhardt konnte er allerdings nur drei Inszenie-rungen russischer Dramatik ausstatten, und dies auch erst ab 1923. Er fand ein neues Betätigungsfeld im Film, Bereits seine ersten beiden Filmarchitekturen – RASKOLNIKOW (1922) und DIE MACHT DER FINSTERNIS (1923) setzen Maßstäbe. Er bricht mit der graphischen Bildauffassung des expressiven deutschen Films und betont stattdes-sen das Gegenteil; die Plastizität. Nicht »das Filmbild muss Graphik werden« (Hermann Warm über CALIGARI), sondern: das Filmbild muss plastisch werden – gerade auch im zweidimensionalen Medium Film. Distorsionen und Brechungen sehr wohl aufnehmend, wenn sie helfen, Befindlichkeiten und Zusammenhänge, raumsugges-tiv erfahrbar zu machen. Also nicht die Verkürzung oder gar Verleugnung des Raums, sondern dessen sinnliche Erfahrbarkeit, gerade auch in den Einschränkungen des zweidimensionalen Filmbildes, war die Innovation, die Andrejew dem an selbstwertigen Filmarchitekturen nicht eben armen deutschen Stummfilm der mittleren 1920er Jahre hinzufügte. Andrejew hat danach im deutschen Stummfilm fast alle Genres bedient und auch hier eine durchaus eigene Handschrift entwickelt. Er hat stets die längere Zusammenarbeit mit Produktionsgesellschaften gesucht, so zunächst die Deutsche Vereins-Film und Deutsche Film-Union (Defu), vor allem aber mit Friedrich Zelnik und Filmen mit dessen aus Lettland gebürtigen Star Lya Mara. Noch zu wenig wird seine Zusammenarbeit mit G. W. Pabst gewürdigt, die von DIE BÜCHSE DER PANDORA (1928) bis zu JEUNE FILLE EN DESTRESSE (1939) reicht. Ein besonders eindrucksvolles raumdramatisches Objekt hat Andre-jew – nachdem sich die Treppe im deutschen Stummfilm etwas abgenutzt hatte – im Bildmotiv der Mühle ent-deckt, vor allem natürlich in DON QUICHOTTE (1933). Die Arbeiten für Pabst in Frankreich ebneten den Weg zu Alfred Greven und der aus Deutschland gesteuerten Continental Film. Hier arbeitete Andrejew vor allem mit Henri-Georges Clouzot zusammen, in dessen frühen films noir er wesentliche Beiträge auch in der Einbeziehung von Helldunkel-Effekten in die nun sehr entschlack-ten Bildräume beisteuerte (etwa in LE CORBEAU, 1943). Dieser nach Kriegsende äußerst umstrittene Film um einen Denunzianten brachte nicht nur Clouzot, sondern auch Andrejew ein Berufsverbot für den französischen Film ein. Andrejew wich nach London aus, wo er einige internationale Großproduktion, u.a. ANNA KARENINA (1948, Pro-duktion: Alexander Korda), ALEXANDER DER GROSSE (1955) und ANASTASIA (1956) ausstattete. Danach kehrte er, nach wie vor mit Wohnsitz in Frankreich, zum deutschen Film zurück, arbeitete etwa wieder mit Alfred Greven in dem Musikschlager-Film BONJOUR CATHERINE (1953) und mit Wolfgang Staudte in MADELEINE UND DER LEGIONÄR (1957) zusammen.
- 12:00 - 13:30
- Mittagspause
- 13:30 - 14:15
- “Der fliegende Ungar” – Die kulturelle Flexibilität des Ladislao Vajda
- Geboren 1906 in Budapest, gehörte Ladislao Vajda zu einer Generation, deren Lebenslauf von Krieg und Fa-schismus diktiert wurden. Wie seinen Vater, den Drehbuchautoren und Szenenbildner László Vajda, zog es ihn zunächst nach Deutschland. In der Wendezeit vom Stumm- zum Tonfilm begann er als Beleuchter und Schnit-tassistent, zweiter Kameramann oder als Regieassistent. Als Regisseur arbeitete er seit 1932 in Großbritannien, Ungarn, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Deutschland und in der Schweiz. Der spanische Filmhistoriker Franciscvo Llinas bezeichnete ihn als »Der fliegende Ungar« und es ist eine eigenartige Ironie des Schicksals, dass Ladislao Vajda auf seiner Flucht vor der NS-Diktatur und dem Mussolini-Regime 1942 ausgerechnet in dem faschistischen Regime heimisch werden sollte, das den Zweiten Weltkrieg am längsten überleben sollte: Die nationalkatholische Diktatur General Francos verlieh ihm 1952 mit dem Orden »Isabel la catolica« eine der höchsten Auszeichnungen des Landes und 1954 wurde der fliegende Ungar spanischer Staatsbürger. In Komö-dien und Melodramen beherrschte er die Themen und Motive der spanischen Populärkultur »wie ein Spanier«, so eine spanische Filmzeitschrift: Stierkampf, Zarzuelas und natürlich die Kirche: Weltweit bekannt wurde Vajda 1955 durch das anrührende Religionsdrama MARCELINO, PAN Y VINO (DAS GEHEIMNIS DES MARCELINO). Welt-bekannt wurde Vajda aber auch durch spanische Koproduktionen, etwa UN ANGELO È SCESO A BROOKLYN (1957, DER HUND, DER HERR BOZZI HIESS) mit Italien, oder ES GESCHAH AM HELLICHTEN TAG (1958), mit der Schweiz.
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Sprecher:in
Wolfgang Martin Hamdorf
- 14:30 - 15:15
- Anpassung ohne Routine. Wie Viktor Tourjansky mit kreativer Assimilationsfähigkeit von 1921–1962 in sechs westlichen Ländern 59
- 1920 verließ Filmregisseur Viatcheslav Tourzhansky endgültig das nun bolschewistische Russland und kam nach Paris, wo er in der Produktionsfirma Société Ermolev, später in Albatros umbenannt, unterkam. 1926 brachten ihn seine Erfolge, kurzzeitig und schnell ernüchtert, nach Hollywood. Er arbeitete danach erfolgreich in der französischen Tonfilmindustrie, in Österreich, in Deutschland – sowohl in der NS-Zeit als auch in der BRD – sowie Spanien und Italien. Der Vortrag ordnet Tourjanskys Filme zum einen ganz chronologisch und formal in diese jeweiligen nationalen Filmindustrien ein, wo er überall eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit an die vor-herrschende Filmkultur an den Tag legte. Auch auf den Tonfilm war er als Theatermann gut vorbereitet gewe-sen. Zwar wurde mit der Sprache alles nationaler. Mit L'ORDONNANCE (1933) wurde ihm jedoch die Schaffung eines echt französischen Films attestiert. Angesprochen werden in diesem Zusammenhang Aspekte der prak-tisch-handwerklichen und psychologischen Voraussetzungen für diese flexible Anpassungsfähigkeit. Gleichzei-tig ruhte Tourjansky sich nicht in unpersönlicher Routine aus. Daher geht es auch um einige der individuellen, sehr persönlichen Züge seiner Filme, die sich zwar nicht durch einen leicht identifizierbaren visuellen Stil oder sich wiederholende konkrete Inhalte auszeichnen, sondern den Blick des Regisseurs auf die Welt und die Men-schen auf zurückhaltende und je nach Film oft ganz verschiedenartige Weise sichtbar machen.
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Sprecher:in
Martin Abraham
- 15:30 - 16:00
- Von der Filmrolle zum Bandspeicher – Die digitale Sicherung von Filmen im Bundesarchiv
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Sprecher:in
Annika Souhr-Könighaus
Datum
- 19. Nov. 2021
- Abgelaufene Events
Uhrzeit
Ort
Veranstalter
cinefest - Internationales Festival des deutschen Film-Erbes
Website
http://www.cinefest.deSprecher
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Annika Souhr-KönighausBundesarchiv
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György DalosAutor, Berlin
studierte 1962–67 Geschichte an der Lomonossow-Universität Moskau. Anschließend Tätigkeit als Museologe in Budapest. Sein erster Gedichtband erschien 1964. Aufgrund eines Berufs- und teilweises Publikationsverbots arbeitete er als Übersetzter. 1977 Mitbegründer der ungarischen demokratischen Oppositionsbewegung. Ab 1984 Mitarbeiter der Forschungsstelle Osteuropa (Universität Bremen). 1995–99 Leiter vom »Haus Ungarn« in Berlin. Als freier Publizist und Mitarbeiter für deutsche Rundfunksender und Tageszeitungen tätig u.a. als Mitherausgeber von der Wochenzeitung Freitag (bis Ende 2011). Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste. Ausgezeichnet u.a. mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis (1995), Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung (2010) und dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (2015). György Dalos lebt als freier Autor und Historiker in Berlin. Aktuelle Publikationen: »Für, gegen und ohne Kommunismus« (C.H. Beck 2019) und »Ungarn in der Nußschale« (C.H. Beck 2020).
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Jürgen KastenFilmwissenschaftler, Berlin
Filmwissenschaftler, promovierte an der Freien Universität Berlin und habilitierte an der Humboldt Universität Berlin. Lehrtätigkeiten u.a. an der Humboldt Universität Berlin, Universität der Künste Berlin, Filmuniversität Babelsberg sowie den Universitäten Hamburg und Zürich. Langjähriger Geschäftsführer des Verbands Deut-scher Drehbuchautoren und bis 2019 Geschäftsführer des Bundesverbands Regie. Zahlreiche Publikationen zur Filmgeschichte, Dramaturgie, Filmwirtschaft und Urheber- und Medienrecht; zuletzt »Ufa International. Ein deutscher Filmkonzern mit globalen Ambitionen« (2021). Lebt auf Burg Esbeck.
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Martin AbrahamAutor und Übersetzer, Kiel
Autor und Übersetzer aus Kiel. 1998 Magisterabschluss in Nordischer Philologie, Romanischer Philologie und Politischer Wissenschaft an der CAU Kiel. Übersetzung und Herausgabe von Büchern von Hjalmar Söderberg, Jonas Lie und Johannes Ewald. Herausgabe einer sprachlich modernisierten Version von Jens Baggesens Drama »Der vollendete Faust« sowie eigener Fiktion wie »Paderborner. Ein satirischer Horrorroman« oder der Gro-schendetektiv-Reihe. Artikel und Rezensionen über Literatur, Country-Musik und vor allem Film für populäre und wissenschaftliche Printmedien wie Skandinavistik/EJSS, Dynamite!, india Magazin oder auf Dänisch für Flensborg Avis. Konzentriert sich momentan auf seine drei Blogs über Bücher, indisches Kino und nordisches Kino. Arbeitet an der Übersetzung alter Filmliteratur.
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Réka GulyásFilmhistorikerin, Budapest / Berlin
Ausbildung zur Kinoleiterin in Budapest. Sie war Leiterin diverser Budapester Kinos und ging dann nach Berlin, um an der Freien Universität Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft sowie Kunstgeschichte zu studieren. Sie hat zusammen mit Claudia Lenssen den Dokumentarfilm DER SICHTBARE MENSCH – BÉLA BALÁZS (arte/ZDF) gedreht und an internationalen Filmprojekten mitgearbeitet. Kuratorin mehrerer filmhistorischer Ausstellungen und Filmreihen in Berlin, Potsdam und Brandenburg. Forschungsschwerpunkte sind: das Ungarnbild in deutschsprachigen Spielfilmen, filmische Erkundungen in begrenzten Räumen und ungarische Filmkünstler im Exil. Zurzeit arbeitet sie an einem Dokumentarfilm über die Violinistin und Salonorchesterleiterin Edith Lorand. Sie lebt in Berlin und Budapest.
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Wolfgang Martin HamdorfFilmhistoriker und Journalist, Berlin
ist Filmhistoriker und Journalist. Er arbeitet als freier Autor für deutsche und spanische Medien, etwa Deutsch-landradio, RBB, Filmdienst, Dirigido por, Secuencias oder Ajoblanco. Als Moderator und Programmberater arbeitet er für internationale Filmfestivals wie Cottbus und Berlin oder kulturelle Einrichtungen, wie das Cervan-tes Institut. Seine Schwerpunktthemen sind Film und Propaganda im spanischen Bürgerkrieg und die Erinnerungskultur im spanischen und lateinamerikanischen Film.