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XXI. cinefest - Internationales Festival des deutschen Film-Erbes

Mehr als Tell und Heidi
Deutsch-Schweizerische Filmbeziehungen

15. - 24. November 2024

im Kommunalen Kino Metropolis (Kleine Theaterstr. 10, 20354 Hamburg)

Die Zürcher Verlobung (1956/57, Helmut Käutner): Paul Hubschmid, Liselotte Pulver:
Quelle: DFF - Deutsches Filminstitut & Filmmuseum

cinefest 2024 wird den diversen Beziehungen zwischen dem (deutsch-)schweizerischen und deutschen Film nachgehen.
Zahlreiche, aus der Schullektüre bekannte Literaturklassiker lieferten über die Jahrzehnte in verschiedenen Ländern immer wieder die Vorlage für Adaptationen, z.B. Gottfried Kellers »Kleider machen Leute« (1921, Hans Steinhoff; 1941, Helmut Käutner; 1963, Paul Verhoeven) oder »Romeo und Julia auf dem Dorfe« (1941, Hans Trommer; 1967, Willi Schmidt; 1983, Siegfried Kühn).
Bereits früh gab es im Stummfilm Coproduktionen über die Grenzen hinweg, so DCERY EVINY / EVAS TÖCHTER / ANNY … FILLE D’ÈVE (1927/28, CS/DE/CH) mit dem europaweit populären tschechischen Duo Karel Lamač und Anny Ondra.
Das in den 1920/30er Jahren besonders populäre Genre des Bergfilms bot sich – schon aus geografischen Gründen – zur Zusammenarbeit an: DER KAMPF UMS MATTERHORN, 1928, Mario Bonnard, Nunzio Malasomma, KOL: Arnold Fanck; DIE HERRGOTTSGRENADIERE / DER GOLDENE GLETSCHER, 1932, Anton Kutter.
Die Einführung des Tonfilms zwang in den frühen 1930er Jahren die Produzenten wegen der erhöhten Kosten verstärkt zu internationalen Coproduktionen, um sich so durch Zusammenfassung der verschiedenen deutschsprachigen Märkte ein größeres Absatzgebiet zu erschließen. Als die Produktion des Brecht-Films KUHLE WAMPE 1931/32 in Deutschland in finanzielle Probleme geriet, stellte der aus Polen stammende Lazar Wechsler, der in Zürich die Praesens-Film gegründet hatte, finanziell die Fertigstellung sicher. Gleichzeitig – und am anderen Ende des politischen Spektrums – produzierte er TANNENBERG. EIN DOKUMENTARISCHER FILM ÜBER DIE SCHLACHT VON TANNENBERG, der in der Schweiz jedoch nicht verliehen wurde. Wechslers Firma Praesens-Film feiert 2024 ihr 100-jähriges Jubiläum und wird mit zahlreichen ihrer für die eidgenössische Filmgeschichte bedeutenden Filme im Programm vertreten sein.
Die schweizerische Familie Scotoni kontrollierte 1931-35 die Terra Film in Berlin, eine der wichtigsten deutschen Produktionsfirmen. In dem Rahmen entstand – unter Künstlerischer Oberleitung des Nazi-Schriftstellers Hanns Johst – eine der zahlreichen Tell-Verfilmungen, mit Conrad Veidt als Gessler und Emmy Sonnemann (später: Göring) als Hedwig Tell.
Eine direkte Aktivität von (jüdischen) Emigranten gab es nicht, da ihnen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit untersagt war. Allerdings kamen zahlreiche Filmschaffende aus Deutschland und setzten hier ihre Karriere am Theater (Schauspielhaus Zürich) fort und konnten dadurch auch im Film erfolgreich sein, so Regisseure wie Leopold Lindtberg (FÜSILIER WIPF, 1938; MATTO REGIERT, 1946/47) oder Schauspieler wie Heinrich Gretler und Leonard Steckel.
Angesichts der politischen Entwicklung jenseits der Grenze versuchten in der Schweiz einige Filmschaffende eine spezielle heimatverbundene Positionierung gegen Nazi-Deutschland durch Betonung z.B. von Geschichten der wachsamen Neutralität im Ersten Weltkrieg oder aus der Geschichte der Eidgenossenschaft zu schaffen: GILBERTE DE COURGENAY. EIN FILM AUS DER GRENZBESETZUNG 1914-1918 (1941, Franz Schnyder; KOL: Hermann Haller), LANDAMMANN STAUFFACHER (1941, Leopold Lindtberg).
Die gleichzeitig realen Abgrenzungen gegenüber Flüchtlingen – Motto »Das Boot ist voll« –, antisemitische und rechtsradikale Tendenzen in politischen Kreisen der Schweiz wie auch die Versuche, sich diesen entgegenzustellen, wurden im Film erst in den Jahren nach dem Krieg durch eine jüngere Generation der Filmmacher behandelt. Beispiele sind dafür Spielfilme wie KONFRONTATION – DAS ATTENTAT VON DAVOS (1974, Rolf Lyssy), DAS BOOT IST VOLL (1980/81, Markus Imhoof) und GLUT (1983, Thomas Koerfer) wie auch in Dokumentarfilmen wie DIE ERSCHIESSUNG DES LANDESVERRÄTERS ERNST S. (1975/76, Dindo), ES IST KALT IN BRANDENBURG – HITLER TÖTEN (1978-80, Villi Hermann, Niklaus Meienberg, Hans Stürm), sowie später GRÜNINGERS FALL (1997, Dindo).
Nach dem Krieg sind – oft in deutsch-schweizerischen Coproduktionen namhafte Schweizer wie Bernhard Wicki, Maximilian Schell, Paul Hubschmid und Liselotte Pulver vorwiegend in Deutschland tätig, so in der Hamburger Produktion DIE ZÜRCHER VERLOBUNG (1956/57, Helmut Käutner).
Schriftsteller wie Friedrich Dürrenmatt, Lukas Hartmann und Max Frisch liefern Vorlagen für oft internationale Verfilmungen: ES GESCHAH AM HELLICHTEN TAG / EL CEBO (1958, Ladislao Vajda), PESTALOZZIS BERG (1988/89, Peter von Gunten), HOMO FABER / THE VOYAGER (1990, Volker Schlöndorff), JUSTIZ (1993, Hans W. Geissendörfer).
Parallel zum Jungen deutschen Film und oft auch mit personeller Vermischung und – durch die Beteiligung deutscher und schweizerischer TV-Anstalten – entwickelt sich in den 1960/70er Jahren auch in der West-Schweiz eine »Neue Welle«, so mit DER TOD DES FLOHZIRKUSDIREKTORS (1972/73, Thomas Koerfer), SCHATTEN DER ENGEL (1975, Daniel Schmid), DIE SCHWEIZERMACHER (1978, Rolf Lyssy) mit den auch in Deutschland populären Darstellern Emil Steinberger und Walo Lüönd.
Selbst mit der DDR gab es einige Verbindungen: 1978 drehte Egon Günther URSULA; 1983 verfilmte Siegfried Kühn ROMEO UND JULIA AUF DEM DORFE, bei beiden lieferte der »bürgerliche Realist« Gottfried Keller den Stoff.

Katalog zum cinefest 2024

Zum cinefest wird wieder ein umfangreicher Katalog mit Kritiken und Materialien zu den Filmen und Themen des Festivals erscheinen.

Integraler Bestandteil des Festivals ist der 37. Internationale Filmhistorische Kongress. Er tagt vom 21.-23. November im Gästehaus der Universität Hamburg.

Diskussionsforen zu aktuellen und archivalischen Themen begleiten das cinefest


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